Gut Grambow – Restaurant Schmiede 16
Lange Straße 16 – 19071 Grambow
www.schmiede16.de
Zu diesem kulinarischen Besuch gibt es eine Vorgeschichte, die ich nicht vorenthalten möchte: Wir schreiben das Jahr 1993. Ein junger Mann mit gerade mal 25 Lenzen macht sich mit einem roten VW-Bus auf den Weg ins mecklenburgische Grambow. In seinem Gepäck ein Konzept, wie man ein ehemaliges Volkseigenes Gut für die Marktwirtschaft fit machen kann.
Das Konzept wurde schließlich für gut befunden und der Student der Internationalen Agrarwissenschaften siedelte aus dem Schleswig-Holsteinischen in den wilden Osten um. Und das, obwohl seine Vorfahren bereits vor über 800 Jahren in Südtirol Landwirtschaft betrieben. Er aber wollte eher in der Nähe des Wassers leben. In Grambow fand er beste Bodenbedingungen und alle Voraussetzungen vor, sich mit seinem zukünftigen Unternehmen langfristig optimal aufzustellen.
Außerdem muss man wissen, dass der Landwirt in spe eigentlich Musiker werden wollte und dieser Leidenschaft während seines Studiums in Berlin reichlich gefrönt hat. Im neuen Wirkungsfeld, mit einem Startguthaben von der Familie ausgestattet, blieb ihm dafür nicht mehr viel Zeit. Das Geld hat er übrigens hauptsächlich in Land und Wald investiert, um die Basis für alles Weitere zu schaffen. Heute kommt das Anwesen auf stattlich 2000 Hektar Ackerland, Wiesen und Wald.
Da seine ambitionierten Ziele allein mit einer Landwirtschaft nicht zu stemmen waren, hat er ab 1998 eine Jagdschule aufgebaut, die heute einen bemerkenswerten Stand und Ruf hat. Ich war beeindruckt von den technischen Voraussetzungen, die Gut Grambow für angehende Jäger bietet. Dazu gehört neben einer exzellenten technischen Ausstattung mit einem Schießzentrum der Extraklasse auch ein Team erfahrener Jagdausbilder. Das hat sich offenbar längst herumgesprochen, denn sogar Leute wie FDP-Chef Christian Lindner hat es nach Grambow gezogen, um seine Jägerausbildung zu absolvieren. Das ist die Vorgeschichte sozusagen im Telegrammstil.
Nach 25 Jahren seines Antrittsbesuches in Grambow sitze ich mit dem ehemaligen Agrarstudenten und heutigen Geschäftsführers Hans Martin Lösch im Hofrestaurant „Schmiede 16“. Er hat die 50 mittlerweile passiert, seine Familie ist auf sechs Personen angewachsen. Die 2016 dazu gekommene Gastronomie, erzählt mir Lösch lachend, war sozusagen der unternehmerische Kollateralschaden. Die Jagdschüler wollten schließlich beköstigt und satt werden. Dazu war das regionale kulinarische Umfeld doch etwas zu dünn. Also setzte er auch in diesem Punkt auf eigene Ressourcen-Nutzung und die authentische Verwertung einheimischer Produkte.
Die Gutsschmiede wurde 2009 einer umfassenden Rekonstruktion unterzogen, diente nun zur Versorgung der Jagdschüler und stand auch als Raum für Hochzeiten und Feiern zur Verfügung. Mit dem Einstieg von Björn von Appen als Küchenchef im Jahr 2016 wurde ein neues kulinarisches Konzept entwickelt. Das umfasst ein À-la-carte-Restaurant, das sein Angebot auf der Veredelung hofeigener und regionaler Produkte aus Wald, Feld, Weiden, Wasser und Garten aufbaut. Außerdem dient die Schmiede der Verköstigung der Jagdschülerversorgung und der Hotelgäste. So erweist sich der ehemalige Kollateralschaden Gastronomie mit den beiden anderen Standbeinen Landwirtschaft und Jagdschule als Schlüssel zum Erfolg.
Diese Kombination, so Hans Martin Lösch, vermittelt Authentizität und passt in die Zeit. Das schätzen die Gäste. Die übrigens verkörpern keine bestimmte, besserverdienende, Klientel. Auf Gut Grambow, so der Chef, sind alle willkommen und werden alle gleich behandelt. Außerdem schaffe, so Lösch, der Familienbetrieb eine angenehme, entspannte gastgeberische Atmosphäre, so dass die Grenzen verschwimmen und Schwellenängste nicht aufkommen. Recht hat er.
Die Jagdschüler wie auch die „gemeinen“ Gäste aus nah und fern können sich natürlich auch auf Gut Grambow einquartieren. Sie erwartet 31 geschmack- und stilvoll eingerichtete Zimmer im Landhausstil, die ausreichend Platz und allen Komfort modernen Wohnens bieten. Wenn ich nicht gleich „umme Ecke“ wohnen würde, hier würde ich auch (m)ein Urlaubsquartier aufschlagen. Rund um das Gut gibt’s viel Ruhe und herrliche Natur. Außerdem ist hier eine ideale Basis, um Ausflüge in die nahe Landeshauptstadt, in die Hansestädte Wismar und Rostock und die an die Ostsee zu unternehmen.
Auch das Ambiente des Restaurants erfüllt, was der Name „Schmiede 16“ suggeriert: Eher rustikales, aber nicht weniger anspruchsvolle Einrichtung. Viel Holz, Tische mit wohl gewählten Accessoires geschmückt, hohe Fenster, die an die schmiedetechnische Vergangenheit erinnern. Um einen einladenden Kamin ist eine gemütliche Sitzgruppe eingerichtet. Hier plaudert es sich bei einem guten Tropfen Wein sicher sehr angenehm.
Nun muss ich aber endlich „Butter bei die Fische“ geben und zum Wesentlichen kommen. Soll heißen: Es geht, wie der Norddeutsche locker sagt, um „Freten un supen“, also um den Geschmack im Speziellen auf Gut Grambow. Im besten Sinne des Wortes einkehren kann man dort im Hofrestaurant „Schmiede 16“. Dort bietet man dem Gast, erklären mir Hans Martin Lösch und Küchenchef Björn von Appen unisono, alle geschmacklichen Stufen des Landlebens und veredelt die eigene Jagd auf beachtlichem kulinarischem Niveau.
Und Lösch bescheinigt seinen beiden Köchen auch nahezu uneingeschränkte Freiheiten bei der Entwicklung der Speisekarte des Hauses. Lösch: „Ich bin kulinarisch relativ verwöhnt aufgewachsen, viel herumgekommen und weiß, was gutes Essen ist. Das ist die einzige Maxime, die ich setze. Kreativität hat immer Priorität.“ Man suche dabei auch immer wieder die Zusammenarbeit mit regionalen Erzeugern, Produzenten und Jägern. Ich war anwesend als ein Jäger frisch geschossenes Reh anlieferte und Björn von Appen frohlockte: „Das ist was für die Tageskarte…“
Ich war einige Wochen vor meiner offiziellen Aufwartung in Grambow mit meiner Frau zum Essen. 66 wird man(n) ja schließlich nur einmal. Die aktuelle Karte kannten wir und hatten sozusagen vorab schon gewählt. Ich hatte mich auf eine Vorspeise aus Schwarzwildleberstreifen und gebackenem Ziegenkäse gefreut. Die habe ich aber intuitiv weg gelassen, was sich nicht als Fehler erwiesen hat. Und man möchte ja schließlich auch nochmal wiederkommen.
So begann das Essen für beide mit einer Schaumsuppe von der Brunnenkresse mit Rauke-Pesto und Schwarzwildterrine gewählt. Die war sehr schmackhaft, wunderbar gewürzt, aber dank guter Konsistenz auch als ziemlich „gewaltig“. Soll heißen, das war schon ein Sattmacher vorweg. Wie gesagt: Geschmacklich ohne Abstriche…
Als Hauptgang hatten wir Schwarzwildrücken und Müritz-Zander bestellt.
Mein Wildschweinbraten war genau, wie ich es mag, schön rosa gebraten und perfekt, dezent gewürzt. Die Minz-Thymian-Kruste hatte interessante geschmackliche Nuancen zu bieten. Für meinen Geschmack hätte ich mir jedoch eine dünnere, umhüllende Kruste gewünscht. Ergänzt wurde das Fleisch mit grünen Spätzle. Die haben gut harmoniert und den Geschmack rund gemacht. Als Garnitur wurden Cherry-Tomaten, Rucola und Pfifferlinge verwendet, was dem Ganzen eine farbige Note verlieh, aber auch verzichtbar gewesen wäre, wenn man nur die Pilze „Natur“, soll heißen: ohne Rahm, angerichtet hätte.
Meiner Frau hat der Müritz-Zander vorzüglich gemundet. Ich durfte auch einen Happen abhaben. Kann man(n) nicht meckern. Hier erwies sich die kreative Kombination mit diversem Gemüse als gar trefflich und wohl proportioniert. Alles war auf den Punkt gegart, das Gemüse erfreulich bissfest, aber nicht hart, und dezent gewürzt. So, wie man sich ein delikates Fisch-Gericht wünscht.
Auf ein Dessert haben wir seinerzeit, obwohl das sehr verlockend als Blaubeer-Mohn-Parfait an einer Blaubeer-Zabaione ausgewiesen war, verzichtet. Meine Frau hat aus gesundheitlichen Gründen nur eine Kugel Eis mit Erdbeere und Blüten bestellt. Ich, weil ich kein „Süßhahn“ bin und den deftigen Geschmack nachklingen lassen wollte. Nicht zu vergessen ist ein vorzüglicher „Gruß aus der Küche“ in Gestalt von Rehfilet und … sowie ein appetitanregendes Brot mit einer delikaten Cremé.
Und beim zweiten Besuch habe ich mir, nein: nicht besagte Vorspeise, sondern ein köstliches Rehcarpaccio mit Apfel-Fenchelsalat gerösteten Wallnüssen, ziemlich mildem Pecorino und Cranberries einverleibt. Hauchdünn geschnitten, gut temperiert und geschmacklich gut komponiert. Den Balsamico hätte ich mir jedoch lieber gern selbst nach meinem Gusto, oder eben auch gar nicht, aufgetragen.
Mein genereller Eindruck: In der „Schmiede 16“ wird handwerklich sauber, sehr geschmackvoll und kreativ gekocht. Die „Anrichte“ ist im Detail dekorativ etwas artifiziell. Hier wäre ein „natürlicher“ Gang zurück die optimalere Lösung. Das gilt auch für die Portionen, die beachtlich dimensioniert sind. Damit verschenkt man aus meiner Sicht Potenzial für anspruchsvolleren Genuss. Ich stimme aber mit Hans Martin Lösch überein, dass man in der Schmiede 16 auf einem etwas schwierigen gastgeberischen Spagat wandelt.
Man will, ja muss, die heimische Klientel ebenso überzeugen wie die Feinschmecker und „geheimen Gourmets der Region“. Das ist mitunter eine sehr feine Linie. Man wolle, erklärt mir Lösch, künftig versuchen, die Gäste noch mehr „zu lesen“ und das mit der Küche zu kommunizieren. Das halte ich für einen sehr interessanten Ansatz, der zwar Risiken und Nebenwirkungen in sich birgt, jedoch auch praktikable Möglichkeiten sehr individueller Bewirtung zulässt.
In diesem Zusammenhang komme ich auch auf die Frage an Hans Martin Lösch und seinen Küchenchef zurück, inwieweit sich das Restaurant am Gourmet-Begriff orientiert. Ich weiß, ist alles Definitions- und Geschmackssache. Beide verwehren sich diesem Begriff zwar nicht, stehen ihm aber auch skeptisch gegenüber. Vor allem, was das Streben nach einem Stern betrifft. Für Björn von Appen ist Gourmet hauptsächlich eine Frage der geschmacklichen Seite. Die könne man schon regeln, verrät er im Interview lachend. Hans Martin Lösch dagegen meint, Gourmet in Richtung Stern gibt das gastronomische Konzept gar nicht her und engt ein.
Damit spielt er wohl auch auf die Gestaltung und Einrichtung des Restaurants an. Ich meine jedoch, dass diesbezüglich einiges möglich wäre. Mit einem pfiffigen Restaurant-in-Restaurant Konzept mit Glas und/oder raum- oder sichtteilenden Elementen wie großzügige Leinen-Jalousien könnte man mittelfristig auch einen klassischen Gourmet-Bereich aufbauen, ohne das Raumkonzept zu zerstören. Dieser Bereich müsste nicht unbedingt groß sein, ergebe aber gleichzeitig sehr individuelle Möglichkeit der Bewirtung auch für kleine Gruppen oder Candle-Light-Dinners. Dass es bis dahin noch einiges zu entwickeln gilt, ist klar. Aber muss ja auch träumen dürfen.
Übrigens, dass man in der Schmiede 16 durchaus auch Gourmet „kann“, konnte ich inzwischen bei einem Degustationsmenü erleben, zu dem ich im Rahmen der Besprechung meines Schmiede-Portraits von „Gutsherr“ Hans Martin Lösch spontan eingeladen wurde. Ich kann es vorwegnehmen: Das war kulinarisch höchst respektabler Genuss mit einer angenehm unprätentiösen „Anrichte“, die jeden Feinschmecker überzeugen wird. Aufgetischt wurde mir von der gewohnt freundlichen und umsichtigen Service-Mitarbeiterin:
Amuse bouche: Gegrilltes Rehherz | Curry-Blumenkohlcreme | Topibambur-Chip
Gebeizter Rehrücken | Ringelbete | Kohlrabi | körniger Frischkäse | Tomatenpesto
Consommè von Jagdfasan | Wachtelei | Krause Glucke | Trüffelschwamm | Rote Bete-Schaum
Sous Vide gegarter Rehrücken | herbstliches Gemüse | Süßkartoffelpüree
Wesley Sticky Toffee Pudding | Karamellsauce | Pflaumen | Buttermilch-Minz-Eis
Natürlich ließ sich auch Küchenchef Björn von Appen an unserem Tisch blicken, um sich davon zu überzeugen, wie seine Kreationen. Ich jedenfalls hatte, wie man sprichwörtlich sagt, nichts zu meckern. Geschmacklich-kombinatorisch haben von Appen und sein Kollege eine reife Leistung gezeigt, die auch raffinierte Details offenbarte. Die pikante Schärfe bei Amuse-Bouche beispielsweise erwies sich als hibiskusgefärbter Meerrettich.
Der gebeizte Rehrücken erhielt durch die kreative Kombination u.a. mit dem Kohlrabi und dem Frischkäse eine besonders deliziöse Note. Und die, wie Dieter Bohlen sagen würde, hammergeil abgeschmeckte Consommè war für mich ein Hochgenuss mit Überraschungs-Ei und Mini-Krause Glucke. Davon würde ich gern mal die Maxi-Variante kosten. Muss ja kein Straußenei sein…
Auch der weitere Gang mit Rehrücken überzeugte durch perfekt gegartes Fleisch und dezent gewürztes Püree. Die Hochkantmöhre ist in der Platzierungsart Geschmackssache, war aber auch noch schön bissfest und schmackhaft. Ganz zu schweigen davon, dass das Dessert ein „Stück vom kulinarischen Himmel“ war. Und das, obwohl ich alles andere als ein „süßer Jung“ bin.
Fazit: Das ist der Weg zum kulinarisch Besonderen und eröffnet Ergänzungen mit weiteren Köstlichkeiten, die die Region zu bieten hat. Dazu zähle ich vor allem Fisch und diverse Surf-and-Turf-Variationen. Die neue Karte, die ich aktuell entdecken konnte, bietet ein Forellenfilet à la „Himmel und Erde“. Das wäre ein Grund für einen herbstlichen Sonntagsausflug…
Zu guter Letzt: Ein Stück Romantik erleben Gäste des Hauses, wenn sie das geräumige Safari-Zelt gleich neben der Schmiede buchen. Dort tischt das Team um Björn von Appen ganz besondere kulinarische Leckerbissen auf, die man in einer nahezu abenteuerlichen Atmosphäre und in freier Natur genießen kann.
Auch das ist für mich ein Stück Potenzial mit Alleinstellungsmerkmal, was Gut Grambow zu bieten hat und ganz sicher weiterentwickeln wird.