Dichter Nebel liegt über dem Grambower Moor. Dennoch finden die beiden Weimaraner Jagdhunde ihren Weg am Waldrand entlang. Sie begleiten früh am Morgen Thomas Scheuse beim Spazieren in der unberührten Mecklenburger Natur. Plötzlich halten beide Hunde abrupt an und fallen in Vorstehe-Position. Scheuse späht durch den Nebel, um zu erkennen, welches Wild die Hunde wittern. Denn noch vor dem Frühstück in eine Rotte Wildsau hineinzulaufen, könnte ungesund werden. Dann hebt sich die Nebeldecke, und Scheuse sieht einen kapitalen Hirsch am Rande des Waldes. Rasch versucht er das Alter zu bestimmen. Als der Wind sich dreht, bekommt der Hirsch Witterung und verschwindet rasch im Unterholz. Als morgens um halb acht in der Jagdschule Gut Grambow der Unterricht beginnt, berichtet Jagdschein-Anwärter Thomas Scheuse von seinem Erlebnis. Aufmerksam lauschen seine beiden Mitschüler, Dr. Gabriele Roselius und Dr. Till Reuter aus Zürich, und Schulungsleiter Dr. Helmut Herbold gibt ihnen kurz Tipps für das richtige Verhalten, Schließlich hat der Leiter der Jagdschule Gut Grambow bei Schwerin über Schalenwild promoviert. Heute steht jedoch ein anderes Thema auf dem Lehrplan: die gesetzlichen Regelungen zum Schutz des Adlers vor dem Einfluss des Menschen. Naturschutz ist eine willkommene Abwechslung, denn die Kursteilnehmer haben schon einige Tage mit Themen wie Brauchtum, Waffenkunde, Wildbiologie oder Lebensmittelrecht hinter sich. Sie haben einen anstrengenden Weg zur Jägerprüfung gewählt. Während die meisten Kandidaten einmal in der Woche zu einem Kurs gehen und nach zwei jahre die staatliche Jägerprüfung ablegen, bietet Gut Grambow Kompaktkurse von drei Wochen Dauer und mit durschnittlich zwölf Teilnehmern an. Wem auch das noch zu viel Zeitaufwand ist, der kann den 14-tägigen Intensivkurs mit maximal vier Teilnehmern buchen, wie es der Düsseldorfer Unternehmensberater Scheuse und seine Mitschüler getan haben. „Unsere Besteherquote liegt bei 98 Prozent“, erklärt Dr. Herbold.Als Thomas Scheusel das vor der Anmeldung erfuhr, formolierte sich:“Ich habe mir bei der für die Prüfung zuständigen Unteren Jagdbehörde erst einmal den Prüfungsaufbau erklären lassen. Nachdem ich wusste, dass bei der staatlichen Prüfung bis zu zwanzig Prüfer und Beisitzer in fünf Fächern eingesetzt werden, war mir klar, dass die Besteherquote kaum mit laschen Prüfungsbedingungen zusammenhängen kann.“ Dem pflichtet sein Züricher Mitschüler, der Unternehmensberater Dr. Till Reuter, bei. „Das didaktische Konzept hat mich überzeugt: Schon vor Beginn des Kurses in der Jagdschule gibt es fundierte Unterlagen und einen Katalog mit rund tausend Prüfungsfragen als MP3-Datei. So konnte ich mich Wochen zuvor, beispielsweise im Flugzeug, vorbereiten.“ Für einen zweijährigen Jagdschein-Kurs mit wöchentlichem Unterricht fehlte einfach die Zeit, obwohl Reuter durch Freunde und Bekannte schon früh mit der Jagd Kontakt hatte. Er berät Unternehmen bei Übernahmen und Verkäufen, zuletzt war er verantwortlich für das Europageschäft im Bereich Transport, Logistik und Infrastruktur einer US-amerikanischen Investmentbank. Thomas Scheuses Firma berät Kommunen und Immobilienunternehmen in Energiefragen und entwickelt grüne Zukunftsstrategien. „Das Verstehen und Pflegen der Natur ist es, was mich aus dem Büro in den Wald zieht.“ DrGabriele Roselius kümmert sich als Vermögensberaterin um Family Offices. Noch vor dem Mittagessen geht es zum Schießstand. Thomas Scheuse legt an. Die Pappenscheibe mit dem laufenden Keiler darauf bewegt sich schnell über eine kleine Schneise in 50Metern Entfernung. Ein dumfer Knall – Scheuse hat getroffen. Der nächste Schuss sitzt noch besser und dann geht ein Schuss nach dem anderen ins Schwarze. Wäre der Keiler nicht aus Pappe, hätte der Düsseldorfer ein üppiges Festmahl erlegt. Am benachbarten Schießstand zielt Dr. Gabriele Roselius auf Rehbockattrappen, und daneben setzt Dr. Till Reuter die Schrotflinte ab. Von den letzten zehn Kipphasen hat er acht getroffen. Helmut Herbold hat sich überzeugt, dass alle Prüflinge gut vorbereitet sind, denn morgen ist die Schießprüfung. Wer nach 120Stunden Unterricht hier zu wenig trifft oder gar die Waffe falsch handhabt, wird zur Jägerprüfung erst gar nicht zugelassen. „Wissen um die Zusammenhänge der Natur ermöglicht es dem Jäger, zur Hege des Wildes ein Gleichgewicht der Natur in seinem Revier zu erhalten,“ erklärt Helmut Herbold diese strikte Regelung. „Die Hege mit der Büchse ist wichtig zur Herstellung dieses Gleichgewichts. Jäger legen Wert darauf, dem Wild Stress zu ersparen. Viele veranstalten nur eine oder zwei Gesellschaftsjagden im Jahr. Ansonsten lassen sie dem Wild seine Ruhe. Aber dann ist es wichtig, dass das Wild sauber grtroffen wird, um ihm unnötige Qualen zu ersparen.“ Vorbei an der Pferdekoppel und den Kuhställen des Gutes Grambow gehen die Jagdschüler zum Mittagessen. Hier werden die Schießergebnisse diskutiert. Doch schon nach kurzer Zeit geht es im Unterrichtsraum weiter mit dem Büffeln. „Die Situation ist anders als die intensive Arbeit beim Kunden“, erzählt Thomas Scheuse, als er um 17 Uhr den Unterrichtsraum verlässt. Damit ist noch nicht Feierabend. Thomas Scheuse geht in den Präparateraum. Hier sitzt bereits Dr. Gabriele Roselius und Dr. Till Reuter, die im Selbststudium die Eigenarten und Lebensbedingungen der über 100 ausgestellten Tiere lernen. Als Scheuse um 22 Uhr noch eine Runde mit seinen Hunden geht, vertieft er sein eben erworbenes Wissen über die 15 heimischen Entenarten mit dem Trainingsprogramm auf dem MP3-Player. Und obschon am nächsten Morgen um sieben Uhr die Schießübung beginnt, nimmt er sich die Zeit, eine Rotte Wildschweine zu beobachten, die im Schutz der Nacht auf die Felder zieht. Nachfrage: Alle drei Jagdschüler haben sowohl Schießprüfung als auch Jägerprüfung sehr gut bestanden und die ersten Jagden erfolgreich absolviert. „Auf dem Hochsitz habe ich Zeit zum Denken“ Menschen-Professor Dr. Hanspeter Gondring, wissenschaftlicher Leiter der Akademie der Immobilienwirtschaft (ADI) Stutgard-Leipzig, ist Jäger. immobilienmanager sprach mit ihm über den Reiz der Jagd. Wie sind Sie zur Jagd gekommen? Dr. Hanspeter Gondring: Meine Familie kommt aus dem forstwirtschaftlichen Bereich, da war das Interesse für Natur und Jagd von klein auf da. Was fasziniert Sie an der Jagd? Dr. Hanspeter Gondring: In meinem Beruf bin ich den ganzen Tag von Menschen umgeben, von E-Mails, Faxgeräten, Telefonen, Blackberries-wenn ich im Wald bin, habe ich sofort eine „kleine Auszeit“. Oft treffen Menschen Fehlentscheidungen, weil die Zeit fehlt, Dinge zu durchdenken. Wenn ich auf einem Hochsitz sitze, in die Natur schaue und warte, habe ich diese Zeit. Als Wirtschaftswissenschaftler können Sie gewisse ökonomische Aspekte der Jagd erklären. Dr. Hanspeter Gondring: Zuerst ist da einmal die Gesundheitsökonomie. Die eigentliche Jagd macht nur etwa fünf Porzent meiner Tätigkeit im Revier aus.Hochsitze müssen gebaut und unterhalten werden, Wege müssen angelegt werden, in Futternotzeiten muss das Wild gefüttert werden, Hütten und Zäune müssen repariert werden-das ist viel körperliche Arbeit an der frischen Luft. Das bietet mir kein Fitnessstudio und auch kein Golfplatz. Zudem ist ein Jagdrevier eine teure Angelegenheit. Daher ist es auch wichtig Beute zu machen, um den Wildverkauf kostenmindernd einzusetzen. Welche Immobilienmanager sollten einen Jagdschein machen? Dr. Hanspeter Gondring: Diejenigen, die die Liebe zu Natur und Wild spüren. Wenn ich mit einem Geschäftsfreund abends auf dem Ansitz sitze, in einer Jagdhütte übernachte und im Morgennebel auf die Pirsch ziehe, ist das eine sehr intime Form von kontaktpflege. Auf einem Kongress drei Minuten plaudern und Visitenkarten tauschen ist damit nicht verglichbar. Die Netzwerke unter Jägern sind sehr belastbar und fruchtbringend.
Allgemein
Jagdschulen in Deutschland:Was sie uns Schweizern bringen
Wir leben in einer Zeit, in der die Grenzen fallen. Unsere Kinder studieren im Ausland. Prüfungen und Zeugnisse werden mittlerweile europaweit gegenseitig anerkannt. Auch als Jäger sollte man sich fragen: Wo legen in Zukunft unsere Jungjäger ihre Jagdprüfung ab? In den letzten Jahren anerkennen immer mehr Kantone auch ausserkantonale und ausländische Jagdfähigkeitsprüfungen. Bis jetzt ist die Zahl der Schweizer Jäger, welche eine Jagdprüfung im Ausland ablegen, eher gering, die Tendenz ist jedoch zunehmend. Besonders die Intensivkurse, die in Deutschland von professionellen, privaten Jagdschulen und Landesjagdschulen angeboten werden, erfreuen sich bei den Schweizer Jagdscheinanwärtern zunehmender Beliebtheit.
Klassische Ausbildung
Um das deutsche Ausbildungswesen für Jäger zu verstehen, muss man vorausschicken, dass es in Deutschland im Prinzip zwei verschiedene Wege gibt zur Erlangung der Jagdfähigkeitsprüfung, vielerorts «das grüne Abitur» genannt. Die bestandene Jagdfähigkeitsprüfung ist in allen deutschen Bundesländern uneingeschränkt gültig. Der klassische Weg ist die Ausbildung mit Hegetagen und Kursangeboten der lokalen Jägerschaft, in etwa so, wie wir es kennen. Diese Kurse werden von den Kreisjägerschaften organisiert und angeboten. In Deutschland selbst besucht die grosse Mehrzahl der werdenden Jäger die herkömmlichen Kurse bei den örtlichen Kreisjägerschaften, welche in der Regel etwa ein gutes Jahr dauern. Diese sind etwas billiger als die der privaten Jagdschulen. Es sind etwa 15 bis 30 Schweizer, die jährlich auf diesem Wege ihre Jagdprüfung ablegen, in erster Linie auch, um soziale Kontakte zur lokalen deutschen Jägerschaft herzustellen. Was Kosten und Aufwand betrifft, ist dieser Ausbildungsweg in etwa mit unseren kantonalen Kursen und Prüfungen gleichzusetzen, auch wenn markante Unterschiede von Kanton zu Kanton durchaus vorhanden sind. Bei dieser klassischen Ausbildung liegt die Durchfallquote beim ersten Anlauf etwa bei 30 Prozent. Für deutsche Verhältnisse ist das relativ hoch. Dies liegt nicht zuletzt daran, dass die Kurse nicht immer durch professionelle Kursleiter durchgeführt werden, ebenso lässt das abgegebene Unterrichtsmaterial oftmals zu wünschen übrig. Dafür werden diese Kurse für eine geringe Gebühr durchgeführt, und es fallen keine grossen Reise- und Logierkosten an, da die Kurse lokal stattfinden. Der Besuch des Schiessstandes und die Schiessausbildung (Munition, Waffenmiete, etc.) sowie die Prüfungsgebühren sind die Positionen, welche bei dieser Art von Ausbildung tatsächlich zu Buche schlagen. Hier genaue Zahlen zu nennen ist nahezu unmöglich, jedoch sollte man mit mindestens 1000 Euro (ca. Fr.1500.–) rechnen.
Wochenendkurse
Im Übrigen bieten auch private Jagdschulen und einige Landesjagdschulen solche Lehrgänge als so genannte Wochenendkurse an. Sie dauern zwischen zwei und sechs Monate, Hegestunden und praktische Arbeit im Revier inbegriffen. Hier bekommt man in aller Regel auch gute Unterlagen, und die Mentoren sind meist geschulte Erwachsenenbildner. Am Ende des Lehrganges steht die Jagdprüfung. Ein solcher professionell geführter Wochenendlehrgang kostet etwa 1000 bis 1800 Euro (ca. Fr. 1500.– bis 2700.–), hinzu kommen vielerorts noch die Prüfungsgebühren, die Fahr- und Logierkosten. Achtung: Die Kosten für Schiessstand und Munition sind nicht immer in den Kursgebühren enthalten. Was die Gesamtkosten für einen Wochenendkurs anbelangt, kann man keine abschliessende Summe nennen, da die Anbieter sehr weit voneinander abweichende Angebote machen. Da der Aufwand für die wiederholten Anreisen aus der Schweiz sehr gross ist, werden diese Kurse praktisch nie von Schweizern besucht…
Waidmannsheil ist angesagt
In Deutschland gibt es so viele Jäger wie nie. Auch immer mehr Manager tauchen ein in die Parallelwelt. Für sie organisieren Jagdschulen Spezialkurse. Wer es exotisch mag, reist nach Afrika und erntet Kritik von Greenpeace. Seit 44 Jahren zieht es Günter Wulf in den Wald um Eslohe-Kückelheim im Sauerland. Dann geht er auf die Jagd in seinem eigenen 900 Hektar großen Revier. Wulf, 60, ist Inhaber des Mittelständlers Ketten Wulf, dem Weltmarktführer für Antriebsketten und Kettenrädern. Seine Leidenschaft präsentiert er jedem in der neuen Firmenzentrale. Dort steht ein von ihm geschossener Leopard in der ausgestopften Version. Was Günter Wulf seit seiner Jugendzeit betreibt, ist unter Wirtschaftskapitänen, aber auch bei Promis und Politikern, gern gepflegte Freizeitbeschäftigung. Man spricht nur nicht so gern darüber, etwa in den PR-Abteilungen jener Konzerne, deren Chefs ab und an gern mal die Flinte in die Hand nehmen. Denn Jagen polarisiert, im Gegensatz zum Golfen. Entweder man ist dafür oder dagegen – dazwischen gibt es eigentlich nichts. 2007 gab es in Deutschland 349 500 Jäger Gesellschaftsfähig ist die Jagd längst unter deutschen Top-Managern. RWE-Chef Jürgen Großmann geht gern auf die Pirsch, auch Porsche-Lenker Wendelin Wiedeking, Puma-Vorstandsvorsitzender Jochen Zeitz, Haribo-Inhaber Hans-Joachim Riegel und Trigema-Chef Wolfgang Krupp. Waidmannsheil ist angesagt wie nie. Nach Angaben des Deutschen Jagdschutzverbandes gab es 2007 in Deutschland 349 500 Jäger. Das sind gut 10 000 mehr als 1997 und rund 85 000 mehr als 1987. Die meisten Jagdscheininhaber sind in NRW (83 900) gemeldet, vor Niedersachsen (60 000) und Bayern (48 000). Vom Trend zum Jagen profitiert Hans Martin Lösch, 40, Inhaber der Jagdschule Gut Grambow in Mecklenburg-Vorpommern, eine der profiliertesten Einrichtungen dieser Art in Deutschland. Löschs Kurse sind übers ganze Jahr ausgebucht, auch die für Führungskräfte. „Die Führungsriege in der Wirtschaft ist jagdaffin“ 6000 Euro kostet das 14-tägige Intensivseminar mit maximal vier Teilnehmern. Drei Wochen mit 15 Personen gibt es schon für 2880 Euro. Vermittelt wird das Einmaleins des Jagdlateins: Wildbiologie, Waffenhandhabung, Schießen oder Versorgung des geschossenen Wildes. „Die Führungsriege in der Wirtschaft ist jagdaffin“, sagt Lösch und stellt eine enge Verbundenheit zwischen Jäger und Manager fest. „Der berufliche Alltag von Managern ist sehr zielgerichtet. Das ist wie bei der Jagd das Aufsuchen und Erlegen des Wildes“, sagt Lösch. Für Wirtschaftsmanager ist die Jagd aber auch so etwas wie eine Parallelwelt. Grüner Lodenmantel statt schwarzer Anzug, Hochsitz statt Konferenzzimmer, Erbsensuppe am Lagerfeuer statt Coq au Vin im Restaurant. Fleißig sind deutsche Jäger allemal. In der Saison 2006/2007 erlegten sie Rehwild im Wert von 54,5 Millionen Euro, Schwarzwild für 45,2 Millionen und Rotwild für 16,4 Millionen. Der Wert der gesamten Beute lag bei 144,4 Millionen Euro. Dass hinter diesen Abschüssen nicht nur die reine Freude, sondern Notwendigkeit steckt, ist für Lösch keine Frage. So bleibe über die Jagd der gesunde, artenreiche Wildbestand erhalten, sagt er. Tier- und Umweltschutzorganisationen warnen vor Jagdreisen Seinen Leoparden hat Mittelständler Wulf freilich nicht im Sauerland, sondern in Simbabwe geschossen. Wer es wie er gern exotischer mag, bekommt genügend Angebote. Den Abschuss eines Kamtschatka-Bären im Ural gibt es für 6500 Euro. Wulf aber zieht es mehr nach Afrika. Elefanten hat er dort schon geschossen. „In Namibia hatte ich schon mal freie Büchse auf 17 000 Hektar“, erzählt er. Tier- und Umweltschutzorganisationen warnen vor solchen Jagdreisen. „Wer genügend Geld hinblättert, darf noch im 21. Jahrhundert zum Spaß Leoparden, Geparde, Löwen, Elefanten und Nashörner töten“, kritisiert Greenpeace. Wulf lässt davon erst einmal die Finger. „Elefanten sind teuer geworden, in Botswana nicht unter 20 000 Euro“, sagt er. Da bleibt er doch lieber daheim und schießt auf Hasen. Quelle: Westdeutsche Allgemeine Zeitung – Der Westen
Schuss ins Grüne
Diese Sehnsucht! Lange schon vor Sonnenaufgang treibt sie ihn aus dem Schlaf. Noch müde, formt er die Hände zu einer Schale, fängt kaltes Wasser auf, in das er sein verschlafenes Gesicht taucht. Wieder und wieder, wie ein geheiligtes Ritual. In klobigen Trekkingstiefeln, das Lodenjankerl bis obenhin zugeknöpft, an seiner Seite den Hund, tritt er vor die Tür, wo ihm das kühle Nirwana zwischen Nacht und Tag ins Gesicht schlägt. Juliluft. Sommer noch, aber schon hat sich eine Spur Herbst eingeschlichen. Er muss vor der ersten Helligkeit des Tages an seinem Platz sein, dort, wo er schon am Vorabend ausharrte, bis tiefe Dunkelheit Wald und Welt verschluckte: auf dem Hochsitz. Ein Wirtschaftsmann, glücklich in seinem Parallelkosmos: Burkhard Graßmann (41) war in seinem schwarzen allradgetriebenen Wagen von Hamburg ins Mecklenburgische gefahren, wo er jüngst seine höheren Weihen empfing – auf Gut Grambow. Hier hatte er nicht nur einen soliden Rückzugsort gefunden, nachdem er Anfang des Jahres seine Aufgabe als T-Com-Bereichsvorstand niedergelegt hatte, hier konnte der Marketing- und Internetexperte auch seinen alten Jugendtraum verwirklichen: den Jagdschein zu machen. Ausgerechnet in der Warteschleife der Karriere sollte das seine schwierigste Prüfung werden. So zumindest empfand er die Anstrengungen und Ängste rund ums „grüne Abitur“. Den Jagdschein hat Graßmann geschafft, nun fehlt die Initiation. Es ist Blattzeit, ihn treibt es, seinen ersten Bock zu schießen. Schon zweimal war er zur Pirsch geladen, aber zum erlösenden Handschlag „Waidmannsheil!“ kam es am Ende doch nicht. Wohl war er fasziniert von all den kleinen Wundern der Natur, sichtete auf kürzeste Entfernung einen Überläufer, Jungfuchs, Ricke und auch ein Schmalreh. Aber der ersehnte Rehbock ließ sich auch nach mehrstündigem Beharren nicht blicken. Geübt in Zenmeditation und sogar vertraut mit den extremen Strapazen eines wochenlangen Fußmarsches auf dem Jakobsweg, gesteht er trotzdem ein: „Geduld muss ich noch lernen.“ Nun also Mecklenburg. Würde er dieses Mal Beute machen? Am Samstag, um 6.45 Uhr, nachdem er schon eine Ewigkeit auf dem Ansitz geklebt und gefiebert hatte – kommt er, kommt er nicht –, schoss Burkhard Graßmann nun mit einem perfekten Kammerschuss seinen ersten Bock; mitten ins Herz. Das Tier, das er schon am Vorabend „angesprochen“ hatte, hatte ein prächtiges Sechsergehörn und dass es im Bockfieber war, machte die Sache für den Jäger entschieden leichter. Graßmann betrachtete den Sechsender lange, „er war so schön“, und am Ende tat es ihm für einen Augenblick sogar leid. Aber dieser Augenblick verging, das Jagdfieber siegte. DAMIT IST ER NICHT ALLEIN. In den vergangenen Jahren haben sich deutsche Führungskräfte zunehmend damit infiziert. Auffällig viele von ihnen gehören zur „Generation Golf“: plus/minus 40-Jährige mit allen gesellschaftlichen Freiheiten, die die Elterngeneration erkämpfte, die sich aber mehr und mehr nach Tradition und konservativer Wertordnung sehnen, nach Karriere und Kinderreichtum, nach Jagdschein wie Lodenmantel und natürlich nach der Natur. Was läge da näher als der deutsche Wald, wo Baum, Beere und Getier beheimatet sind neben Märchen und Mystik, Unschuld und Unheil; Rotkäppchen und der böse Wolf, und über allen Gipfeln die Ruh – poetische Absolution von Übervater Goethe. Obendrein verstehen sich die Jäger der Generation Golf, man sollte es nicht glauben, als die besseren Umweltschützer. Gatterjagden mit eigens gezüchtetem Wild lehnen sie ab; Treibjagden bejahen sie nur mit Erste-Klasse-Schützen. „In der Generation meiner Kinder“, weiß Hans-Detlef Bösel, „spielt das Sozialprestige der Jagd keine Rolle. Sie sind viel disziplinierter, die Ehre des Jägers geht ihnen über alles. Wenn Falschabschüsse passieren, dann fast immer den Alten.“ Bösel (61), ein gewiefter Banker und bis vor kurzem Teilhaber bei M. M. Warburg, ist mit der Jagd groß geworden, den Schein hat er schon seit Studienzeiten. Seine Gesellschafts- wie Einzeljagden auf Schloss Finckenstein in Alt-Madlitz, einem ungeheuren Anwesen mit 11 000 Hektar östlich von Berlin, sind besonders begehrt. Status und Prestige spielen hier sehr wohl eine Rolle, war doch unter den Vorfahren von Bösels Stiefvater, dem Grafen Karl Wilhelm von Finckenstein, neben allerlei Staats- und Kulturprominenz auch der Erzieher Friedrichs des Großen. Im Unterschied zu anderen europäischen Ländern, in denen mit Tageslizenzen gejagt werden darf, braucht der deutsche Jäger eine solide Lizenz zum Töten. Wer mit Flinte oder Büchse ins Revier ziehen will, muss die Grundlagen der Ökologie studieren. Es reicht nicht, die Wildsau vom kapitalen Hirsch oder das Bambi von der Bache zu unterscheiden; der Stoff ist naturkundlich allumfassend, die Zusammenhänge sind komplex. Aufbrechen und Ausweiden der Beute gehören nicht minder dazu wie ein einwandfreies polizeiliches Führungszeugnis und die vielen Facetten des Jagdrechts. Dass um das Jagdfieber der jungen deutschen Wirtschaftselite auch eine saftig grüne Konsumindustrie blüht, versteht sich. Für eine Basisausstattung sind 10 000 Euro zu veranschlagen; extravagante Wünsche und das passende Auto sind in dieser Rechnung nicht berücksichtigt. Gleichzeitig steigt die Nachfrage nach Seminaren für die Führungsklientel. Der diesen Trend erkannte, war Wendelin von Boch (Villeroy [&] Boch), Inhaber der Jagdschule Linslerhof. Im hauseigenen Revier, so wirbt er, jagte schon Kaiser Barbarossa. Bei Bochs Verwandtschaft im Niedersächsischen, auf Schloss Lüdersburg, laufen die Geschäfte auch prächtig. Hier hat Wildmeister Rolf Tupat die Sache in der Hand. „Wir sind neben Gut Grambow der Mercedes unter den Jagdschulen“, behauptet er selbstbewusst. TUPAT, EIN GROSSER, ROBUSTER Mann Mitte 50, mit waldgrüner Hubertushose, grasgrünem Polohemd und einer Stimme, die jedes Jagdhorn übertönt, setzt einen gleich auf eine Fährte, was den Anreiz seiner Topmanager betrifft: „Auf der Jagd ist man einfach unter sich, es ist nicht so ein Massensport wie das Golfen.“ Der Snobismus einer Kaste also? Mit sechs Schülern fing Tupat vor zehn Jahren an. Schnell wurden es mehr, auch weil er flexibel ist – bei ihm kann man im Einzeltraining in zehn Tagen zum Jagdschein kommen. Die Solonummer kostet 12 000 Euro, Munition und Lehrmaterial inbegriffen. Unterkunft im Schloss samt Verpflegung kann dazugebucht werden. Auf Gut Grambow dauern die Kurszeiten „aus Verantwortungsbewusstsein“ länger und stehen zeitlich fest. Wie die Kosten: 6000 Euro werden für ein Seminar verlangt, egal, ob sich einer anmeldet oder ob es fünf sind. Um die kümmern sich dann Martin Lösch, der Inhaber, und Schulungsleiter Helmut Herbold, einer der wenigen Promovierten in der Branche. Lösch, Jahrgang 1968, feinsinnig, mit eindringlichem Oscar-Wilde-Blick, könnte man eher für einen Salonintellektuellen halten als für den Vertreter einer neuen Generation von Großgrundbesitzern. 1993 erwarb der Sohn eines Chirurgen aus Schleswig-Holstein von der Treuhand 2000 Hektar Land und Forst, die er seither mit aller betriebswirtschaftlichen Raffinesse betreibt. Die Jagdschule ist ein Betrieb im Betrieb. Obendrein ergibt sich der nützliche Nebeneffekt, dass aus seinen ehemaligen Schülern Waidmänner geworden sind, die ihren Jagdtrieb ausleben wollen. Wer in den Revieren im Familien-, Freundes-, und Kollegenkreise nicht ausgelastet ist, kann auf Gut Grambow im Einzelfall einen Begehungsschein bekommen. So hat Lösch gleichzeitig motivierte Helfer, um seinen Abschussplan zu erfüllen. WIE ABER IST DER JAGDTRIEB der jungen Elite zu erklären? Der von Kyros Khadjavi zum Beispiel, mit 31 Jahren bereits Direktor des Private Wealth Managements der UBS in Zürich? Seine Vita ist so geradlinig wie sein Scheitel – Einserabitur, Studium in St. Gallen, kleine Abstecher an die Hautes Études Commerciales (HEC) in Paris, an die Universität St. Petersburg und dann zügig promoviert über Wertmanagement im Mittelstand. Ein Mann der Etikette, fein gekleidet und überaus gepflegt. Was macht er auf der Jagd, wo es auch nass und dreckig zugeht, brutal bisweilen und blutig allemal? „Es war einfach in mir drin!“, sagt er. Wie das? Die Großväter, die Urgroßväter, alle waren sie Grünröcke. Das Jagdfieber lodert eben auch durch Stammbäume. Und natürlich, wie bei allen: die Natur. Natur. Natur. Kyros Khadjavi hat sich zum Jagdschein schon vor dem Abitur angemeldet, hat sogar den Widerstand seiner Lehrer im Internat in Salem in Kauf genommen und obendrein ein paar Mitschüler angestiftet. Die Nasen hat man gerümpft über diesen unverständlichen Drang. Die meisten dieser Clique sind heute in gehobenen Positionen, ihr Netzwerk dürfte mithin mehr wert sein als jede noch so wertvolle Trophäe. Seinem nur zwei Jahre älteren Bruder Camillo erging es nicht anders. Auch er ein vorbildlicher Leistungsträger. Topjurist. Als Associate Principal bei McKinsey berät er eine große deutsche Bank; niemand zweifelt daran, dass er bald Partner wird. Jagen ist angeboren, glaubt er. „Der soziale Aspekt kommt auch dazu“, sagt er, „interessant sind die Gemeinschaftsjagden, das ist ein generationenverbindendes Hobby.“ Der Jüngere formuliert es so: „Es ist auch ein Ereignis, man lernt Leute kennen“, und Beziehungen sind nun mal ein Schlüssel zum Erfolg. Amelie von Hardenberg, Tante der Khadjavis, hat Eindeutiges beobachtet auf dem Gut ihres Mannes in Lietzen. Dort werden Verkaufsjagden angeboten; und die Wirtschaft kommt gern. Ursprünglich war geplant, die Gäste auf Schloss Neuhardenberg unterzubringen, das die Familie an den Giro- und Sparkassenverband verkauft hatte, der es unter Einsatz vieler Millionen restaurierte und designnobel herausputzte. Aber Manager, die unter Umständen Tausende Euro investieren, um ihrem Jagdtrieb nachzugeben, lehnen diesen Komfort ab. „Irgendwo im Wald in einer Hütte unterzukommen ist ein ungleich größeres Vergnügen“, weiß nicht nur Kyros Khadjavi. Kein schöneres Spiel als Räuber und Gendarm! Je mehr eine Führungskraft abhebt, in Fliegern und anderweitig, das Leben in klimatisierten Konferenzräumen verbringt, heruntergekühlt auf amerikanischen Standard von 16 Grad Celsius, und in den exklusiven Hotelghettos dieser Welt, umso mehr sehnt sie sich nach Nervenkitzel, Feldbett und Schlamm. Dem seelischen Schmerz folgt die Sehnsucht nach körperlicher Qual. Dass sie sie teilen, im Unterholz oder frierend auf dem Ansitz, schweißt sie zusammen. Was für eine belanglose Anspannung ist dagegen eine Cocktailparty, auf der man sich mit Visitenkarten attackiert! Bernd Vangerow widerspricht nicht. Der 47-Jährige war einige Jahre im globalen Markenvorstand von BP und so erfolgreich, dass ein Karrieresprung nach Asien bevorstand. Er winkte ab. Niemals wollte er das Revier im Sauerländischen verlassen, an dessen Hege und Pflege ihm so viel liegt. Er kündigte, büffelte stattdessen für die Jägerprüfung und wechselte in die Geschäftsleitung der mittelständischen Trilux. Die Jagd ist für ihn kein Sport, „diese Einstellung ist fatal“, sondern ein ganzheitlicher Blick auf die Welt, ein solides Handwerk, ein archaischer Trieb. „Auf der Jagd hole ich eine Menge Kraft, ich brauche keine Entspannungsseminare.“ „Es gibt heute weniger bekennende Jäger“, ärgert sich Klaus Mangold, der ehemalige Daimler-Mann, jetzt Vorsitzender des Ost-Ausschusses der Deutschen Wirtschaft. Er ist ein Aficionado mit eigenem Revier im Schwarzwälder Münstertal. Finanzvorstände, Investmentbanker, Unternehmensberater, Alphatiere allesamt, stilisieren sich zu Opfern ihrer PR-Abteilungen, wenn es um diese Seite ihrer Identität geht. Die Firma will sich nicht waidmannslustig zeigen. Jagen polarisiert. Dabei gehörte es schon immer zur (Un)Kultur der Eliten. Beim deutschen Adel ist der Jagdschein heute noch so selbstverständlich wie die Luft zum Atmen. Auch die Wirtschaftslenker, die schon im Zenit ihrer Macht standen, bevor alle Welt vor dem Götzen Shareholder-Value niederkniete, machten aus ihrer Leidenschaft nie ein Hehl. Kaum ein großes Unternehmen, das keine eigene Jagd besaß; zur Treib- und Drückjagdzeit war am Donnerstagnachmittag Dienstschluss, heute undenkbar. Das Geschäft geht vor. Man denke an ThyssenKrupp und Grandseigneur Berthold Beitz. Ihn zieht’s nach eigenem Verlauten selbst mit 94 Jahren auf die Pirsch. „Es ist die pure Entspannung“, sagt er. Abitur – Vorstand – Jagdschein, so vollzogen sich die Karriereschritte der alten Managementelite. Um „First Generation Hunter“ mit nachgeholtem Standesdünkel handle es sich hier. Schießgeil seien viele dieser Karrieristen und schussneidisch, vom Jagdknigge habe der gemeine Manager keine Ahnung, viele benähmen sich im Wald wie der Fuchs im Hühnerstall. So mault der Feudal- über den Industrieadel. Dennoch leben die meisten Reviere des Adels von den Jagdfreuden industrieller Größen. Andersherum gilt eine Einladung vom Wittelsbacher Herzog Franz von Bayern als Ritterschlag. Oder von Moritz Fürst zu Oettingen-Wallerstein. Oder dessen Namensvetter – „Wir sind seit 1602 nicht mehr verwandt“ – Albrecht Fürst zu Oettingen-Spielberg oder Heinrich Prinz Reuß. Den Thurn [&] Taxis’, von Bohlen und Halbachs, den Bismarcks oder Metternichs. Äußerst begehrt sind auch die exklusiven Jagdgesellschaften des pressescheuen „Bankiers und Bauers“ August von Finck in seinem Forst in Rot a. d. Rot. EINEN VON DER ÖFFENTLICHKEIT kaum registrierten Impuls erhielt die Jagd in Deutschland durch die Wiedervereinigung. Wurden die Güter der Grafen Hardenberg und Lynar restituiert, erwarben sich die anderen namhaften Familien fast durchweg die alte Heimat zurück. „Junkerland in Bauernhand“ – war da mal was? „Das gab es seit der Säkularisierung nicht mehr, dass man so große Flächen kaufen konnte“, fasst Hermann Graf von Pückler die Historie zusammen. Er sitzt dabei auf dem großen geblümten Kanapee vor dem offenen Kamin im großen Salon seines Familienanwesens in Cottbus-Branitz. An der Wand der berühmte Vorfahr und Exzentriker Fürst Hermann von Pückler-Muskau, ihm gegenüber auf Augenhöhe seine schöne Frau Lucie, in Öl gemalt vom berühmtesten Porträtisten des Biedermeiers, Franz Krüger. „Hier sind alle alten Nachbarn wieder zusammen“, freut sich Pückler. Alles geldige Namen aus Politik und Wirtschaft. Wie waren diese Käufe möglich? Zu den Rückkehrern in die alte Heimat gehört auch der Münchener Wirtschaftsanwalt Bardia Khadjavi-Gontard, der das Anwesen der Mutter, Rittergut Stechau, nur aus Fotoalben kannte. Als er es nach der Wende zum ersten Mal sah, stand er wie alle anderen Repatriierten unter Schock. Inzwischen ist Stechau aus der Ruine wiederauferstanden und tatsächlich „der Zukunft zugewandt“. Inmitten von ein paar tausend Hektar Land und Forst wieder ein beliebter Treffpunkt, wie schon zu DDR-Zeiten, als im Staatsforst Honecker [&] Co. ihre Jagden veranstalteten. „Ich gehe offensiv mit dem Thema um“, sagt Burkhard Graßmann und ist erstaunt, wie viele Männer sich ihm gegenüber als Jäger outen, wenn man unter sich ist. Frauen betrachten ihn oft als „Mörder im Anzug“. Dabei zieht es auch immer mehr weibliche Führungskräfte ins Revier. Auf Gut Grambow machen sie schon 30 Prozent aller Absolventen aus. „Frauen haben am Anfang Kraftprobleme“, beobachtet Schulungsleiter Herbold, „aber der Ablauf Zuhören – Umsetzen funktioniert bei ihnen viel besser als bei Männern.“ Valeska Bösel, mit 27 bereits angehende Volljuristin, ergänzt, „weil sie konzentrierter sind und nicht so ehrgeizig wie Männer“. Wirklich nicht? Auch sie „konnte einfach gar nicht anders als Jägerin werden“. Aber als sie das erste Mal abdrückte, wusste sie: Das ist ein Einschnitt. Bei Elke von Pückler erfolgte die Zäsur auf andere Weise: Nach der Geburt ihres Sohnes konnte sie keinen tödlichen Schuss mehr abgeben. Treibt Aggression jagende Manager um? Im Beruf werden sie von den Märkten, Aktionären und dem Ehrgeiz gehetzt – und vom Nebenbuhler ums Führungsmandat. Auch vom Wissen um ihre oft kurze Verweildauer im Unternehmen. „Da stauen sich bewusst oder unbewusst so viele Aggressionen an, die in die Jagd kanalisiert werden und im Schuss kulminieren“, glaubt ein Kenner der Waidmannslust zu wissen. „Jagen ist die andere, die dunkle Seite der Macht.“ „Wir brauchen die Natur deshalb, weil sie uns nicht widerspricht“, konzediert Bernd Vangerow. „Aber sie stellt uns ganz schnell vom Kopf auf die Füße: Man weiß wieder, wie klein man ist.“
Golf war gestern: Manager von heute blasen zum Halali
„Früher ging mein Vater mit allen wichtigen Kunden golfen, heute gehen alle jagen“, sagt der Spross einer angesehenen österreichischen Unternehmerfamilie, der ungenannt bleiben möchte. In der eingeschworenen Gemeinschaft mit eigener Sprache, traditionellen Ritualen und Kleidung finden sich schnell Gleichgesinnte. Doch vielen alteingesessenen Jägern passt der neue Trend gar nicht.
„Das Image der Jagd hat sich in den vergangenen Jahren enorm verbessert“, sagt Anke Nuy vom Deutschen Jagdschutz-Verband. „Man wird heute nicht mehr als Tiermörder beschimpft, wenn man sagt, man jagt.“ Das mache den Sport auch für neue Zielgruppen interessant: Frauen, Jugendliche oder eben Manager. Dabei ist Sport natürlich in den Augen der Zunft das falsche Wort. „Jagen ist kein Sport, sondern eine Lebenseinstellung“, korrigiert Martin Lösch, Inhaber der Jagdschule Gut Grambow in Mecklenburg, der spezielle Manager-Kurse anbietet.
Seit es wieder angesagt ist, stundenlang durch den Wald zu streifen und sich auf dem Hochsitz in aller Herrgottsfrühe die Finger abzufrieren, braucht sich der Deutsche Jagdschutz-Verband um Nachwuchs keine Sorgen mehr zu machen. Knapp 6500 Neulinge haben im vergangenen Jahr die Jagdprüfung abgelegt – mehr als drei Mal so viele wie im Vorjahr. Unter ihnen zahlreiche Unternehmer, Banker, Anwälte und Politiker. „Sie sehen die Jagd als Ausgleich für die Hektik im Job“, weiß Gutsbesitzer Lösch. Wen das ständige Gerede übers Geschäft beim Putten nervt, findet im Wald seine Ruhe. Die Geselligkeit und die Gelegenheit fürs Kontakteknüpfen beginnt oft erst mit dem gemeinsamen Verspeisen der Beute.
Zudem sei die Jagd auf das Wild sehr männlich, sagt das Mitglied der österreichischen Unternehmerfamilie. „So wie andere dem Ruhm, Geld oder Frauen nachjagen.“ Hinzu komme die Beute. „Männer geraten in Hochstimmung, wenn sie etwas erlegt haben. Natürlich gehöre das Beutemachen dazu, räumt Anke Nuy ein. „Was für den einen das Ebay-Schnäppchen, ist für den Jäger die Beute.“ Manchem reiche es aber auch, ein besonders schönes Tier zu sehen. Nicht umsonst wünschten sich Jäger neben dem „Weidmanns Heil“ auch gerne einen „Guten Anblick“.
„Jäger teilen intensive Erlebnisse, das ist gesellig und schweißt zusammen“, sagt Gutsbesitzer Lösch. Er betreibt nur eine von vielen Jagdschulen, die inzwischen spezielle Manager-Jagd-Kurse anbieten. Dass sich viele Führungskräfte vorher nicht monatelang mehrmals die Woche durch die Theorie quälen wollen, bevor sie zur Jagdprüfung antreten, darauf ist Lösch eingerichtet. Für einen zweiwöchigen Schnellkurs müssen die Manager bei ihm rund 6000 Euro abdrücken. Über mangelnden Zulauf kann er sich nicht beschweren.
Eine Entwicklung, die vielen passionierten Jägern gar nicht passt. Die Karrieristen, die nur aus Prestige auf dem Hochsitz hocken und jagen wollten, „auf die kann ich verzichten“, schimpft Waldemar Kalchgruber, Chef des Jagdverbandes im bayerischen Donauwörth. „Die haben doch kein Gefühl für die Kreatur und die Natur.“ Natürlich habe die Jagd etwas Elitäres, gibt Nuy zu. Doch wer nicht die nötige Einstellung und Zeit mitbringt, scheitert schon an der Jagdprüfung, die nicht umsonst das „Grüne Abitur“ genannt wird, warnt sie vor falschen Vorstellungen eines reinen Karriere-Klubs.
Der Hochsitz ist doch kein Ort für Geschäfte, sagt Kalchgruber. Wer nur deswegen kommt, hat bei ihm schlechte Karten. Auch für solche, die nur mit einem schönen Waffenschrank zu Hause prahlen wollen, hat der ehemalige Unternehmer wenig Verständnis. „Die sollen auf den Golfplatz gehen.“
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Auf der Pirsch im eigenen Revier
Seit Stunden schon verharren sie still in ihrem Verschlag, beobachten die Tiere und warten auf den richtigen Moment zum Abschuss. Plötzlich greift Herbold sein Gewehr, visiert die Wildsau im Fernrohr an – und winkt doch wieder ab. „Die Leitbache müssen wir schonen“, sagt der Schulleiter. Für seinen Schüler, den 36-jährigen Inhaber eines Gartenbaubetriebs in Fulda, hat sich die Lehrstunde an der frischen Luft trotzdem gelohnt: „Endlich erlebe ich Wildtiere aus nächster Nähe“, sagt er. „Das ist mein Jugendtraum.“ Der Stadtmensch Fillauer befindet sich in guter Jagdgesellschaft – die grüne Zunft bekommt derzeit frischen Wind, sie wird im Durchschnitt jünger und urbaner. Unternehmer, Banker und Berater flüchten vom Schreibtisch in den Wald. Sie suchen fern von Alltagsstress und -lärm die Ruhe der Natur, wollen Fuchs und Fasan aufspüren und die Pflanzenwelt entdecken. Wie der Hase im Berufsleben läuft, haben sie erkannt. Wie er in Natur aussieht, wollen die Schreibtischtäter jetzt auch mal sehen. „Die Jagd bietet eine unbekannte, aufregende Welt“, lockt Jagdschulleiter Herbold. Die Einladung zum Schüsseltreiben, das große Fressen nach der Jagd, galt bei vielen Konzernen schon immer als Ritterschlag – mehr noch als die gemeinsame Runde auf dem Golfplatz. Wen der Businesstalk beim Putten nervt, findet im Wald seine Ruhe. Die obersten Ränge der deutschen Industrie gehen gemeinsam auf die Pirsch, meist im eigenen Revier. Darunter Krupp-Patron Berthold Beitz, Porzellanhersteller Wendelin von Boch oder Jürgen Großmann, Eigentümer der Stahlholding Georgsmarienhütte. Und natürlich Günter Mast von Jägermeister. Rund 343.000 Jagdscheinbesitzer zählt der Deutsche Jagdschutz-Verband (DJV) dieses Jahr, mehr als je zuvor. Das Bild vom Jäger in Lodenjacke und Lederhose wandelt sich. Junge Jäger tragen zwar nach wie vor dunkelgrüne Tarnfarben, Stoff und Schnitte sind inzwischen aber modern. Zumal immer mehr Frauen in die einstige Männerdomäne drängen, Stammtischsprüche sind damit passé. Der Weg zurück zur Natur ist lang. Und beginnt mit Büchern. Welches Tier zu welcher Jahreszeit erlegt werden darf, welche Munition in welches Gewehr gehört und wie der Jagdhund apportieren soll – das alles gehört zum Lernstoff und heißt nicht umsonst „grünes Abitur“. Ein Viertel der Kandidaten fällt im ersten Versuch durch. Private Jagdschulen und staatliche Kreisverbände bieten Intensivkurse von wenigen Wochen für 2000 bis 3000 Euro an. Auf Gut Grambow bereiten sich die Kursteilnehmer dreieinhalb Wochen auf die Prüfung vor. Benjeshecken als Biotope hegen, das Rehwild im Winter mit Nahrung versorgen und bei Krankheit pflegen, vom Aussterben bedrohte Tiere wie den Biber schonen. Gutsbesitzer Hans Martin Lösch schickt seine großstädtischen Zöglinge in sein 2000 Hektar großes Revier im Mecklenburger Land. Wenn die Stiefel knöcheltief im Schlamm versinken, die nasse Erde unter den Sohlen schmatzt und die Äste ins Gesicht schlagen – dann sehen selbst gut bezahlte Bürogestalten aus wie Pfadfinder auf Wanderschaft. Beim Reviergang zeigt Landwirt Lösch die Schäden, die hungrige Rehe beim Knabbern an der Baumrinde hinterlassen und wie die Schweine im Acker nebenan gewütet haben. Ein Zeichen, dass inzwischen zu viel Rot- und Schwarzwild seinen Wald bevölkert. Dagegen hilft die Büchse. In diesem Sinne versteht sich der Jäger als Arzt des Waldes. Lösch: „Wir blasen hier bald wieder zur Jagd.“ Vorher müssen seine Kandidaten die Schießprüfung bestehen. Dafür üben Fillauer und seine acht Kameraden eine Woche jeden Tag vier Stunden am Schießstand. Morgens um sieben Uhr geht es los, noch liegt der Morgentau über dem Grambower Moor. Die Männer haben sich warm eingepackt, tragen Gummistiefel und Gehörschutz. Fillauer zielt mit der Schrotflinte über Kimme und Korn auf Tontauben. Ein Knall, Schrot schießt aus dem Gewehrlauf. Der Körnerhagel trifft, die orangen Scheiben zerbersten noch in der Luft. Für Fillauer ein neues Erfolgserlebnis – bisher hat er nur Rosen auf dem Jahrmarkt geschossen. Mitstreiter Thorsten Glock, 38 Jahre und Bauunternehmer aus Kalbach, lädt einen Stand weiter die Büchse mit schwerer Munition und will einen Keiler aus Pappe treffen, der träge von rechts nach links gezogen wird. Der Schuss fällt, der Keiler nicht. Am Computer liest Schulleiter Herbold das Ergebnis ab: ein Streifschuss. „Nicht aus der Ruhe bringen lassen“, mahnt er. Treffsicherheit ist eine Frage der Konzentration. Damit das Tier nicht unnötig leidet, muss der erste Schuss sitzen. Die Kombination aus Geschicklichkeit, Disziplin und Geduld ist es, die Jäger an ihrer Freizeitbeschäftigung schätzen. Ein weiteres Motiv, von Jagdgegnern heftig kritisiert, geben Vertreter der Zunft nur zögerlich zu. „Wir machen gern Beute“, sagt Rainer Dulger, der über einen Studienfreund zur Jagd kam. Der Inhaber des Pumpenherstellers Prominent aus Heidelberg findet den Jagdtrieb völlig normal: „Die einen jagen der Karriere, die anderen dem Geld oder den Frauen hinterher – wir jagen das Wild.“ Die Beute wird schon aus kulinarischen Gründen geschätzt. „Alles, was ich erlege, kommt in den Kochtopf“, sagt Heidrun Kleinert. Die promovierte Biologin zerlegt das Wild: Sie schneidet die Bauchdecke auf, entfernt die Organe und trennt küchenfertige Fleischteile ab. Eine blutige Angelegenheit, die nicht jedem liegt. Doch das Ergebnis rechtfertigt für Kleinert den Aufwand. „Was man selbst geschossen hat, schmeckt am besten“ , sagt sie. „Da weiß ich jedenfalls, was ich esse.“ Auf der letzten Jagd schoss sie sich ein Wildschwein. Heiko Palm nimmt oft seinen achtjährigen Sohn mit in den Wald. „Er kennt viel mehr Bäume und Tiere als andere in seiner Klasse“, sagt der 36-jährige Augenoptiker. Damit auch andere Jungen und Mädchen etwas lernen, bietet Palm, so wie andere Jäger, Umwelterziehung im Kindergarten an. Die Jagd unterliegt hier zu Lande anders als in Frankreich oder Großbritannien strengen Regeln. Wer als Jäger eine Waffe tragen will, muss sein polizeiliches Führungszeugnis vorlegen. „Den Jagdschein bekommt nur, wer eine weiße Weste hat“, sagt Jörg Kuhlmann, Anwalt aus Bochum, spezialisiert auf Jagd- und Waffenrecht. Verstöße gegen das Jagdgesetz, beispielsweise das Erlegen eines Tier in der Schonzeit, werden mit Geldstrafen geahndet. Wer den Jagdschein schließlich in der Tasche hat, darf sich zwar zur Jagd einladen lassen – ein eigenes Revier hat er noch lange nicht. Erst nach drei Jahren Probezeit darf er ein Jagdgebiet pachten. Die Kosten variieren je nach Größe und Lage: „100 Hektar vor der polnischen Grenze sind ab 500 Euro im Jahr zu haben“, sagt Martin Gerlach, „in beliebten Gebieten wie dem Münsterland kostet eine Pacht derselben Größe schnell 5000 Euro, im Sauerland bis zu 50.000 Euro“. Der 31-jährige Jäger vermittelt als Makler Reviere übers Internet. Bis zur eigenen Pacht hat Jagdschüler Fillauer noch einen langen Weg vor sich. Das zarte Hasenfilet auf seinem Teller reicht ihm als Vorgeschmack auf das erste selbst erlegte Stück Wild. Der Mittelständler weiß, dass harte Zeiten und viele Abendstunden Fakten lernen vor ihm liegen: „Ein Jäger ist im Grunde wie ein geduldiger Unternehmer, wie heißt es doch: Er wirft die Flinte nicht so schnell ins Korn.“